Am nächsten Tag starten wir eine lange Talfahrt hinunter von 3800m auf der tibetischen Hochebene in das heisse und feuchte Chengdu. Chengdu ist eine 9 Millionenstadt und die Hauptstadt der Provinz Sezchuan. Wir besuchen die Panda Aufziehstation, die wieder aufgebaute Altstadt und eine Aufführung der Sezchuan- Oper. Bereits trauern wir ein bisschen um die kühlen Bergtemperaturen. Die schwülheissen Nächte und der Autobahnlärm nach soviel Bergfrische sind gewöhnungsbedürftig und taugen nicht gerade zur Erholung. So sind wir froh, nach drei Tagen die Grossstadt wieder verlassen zu können. Obwohl diese Millionenstadt überraschend viele Grünflächen hat und sehr gepflegt und strukturiert daher kommt.
Unsere Reise führt uns noch weiter südwärts nach Leshan, wo wir auf einer Bootstour eine riesige sitzende Buddhafigur von 71 Metern Höhe und 28 Metern Breite besichtigen. In den Jahren 713 bis 803 von einem Mönch in Auftrag gegeben, sollte diese Figur am Zusammenfluss von drei grossen Flüssen vor Schiffsunglücken schützen.
Ganz in der Nähe befindet sich einer der vier heiligen buddhistischen Berge, der Mount Emeishan mit 3099 Metern Höhe. Es ist gerade chinesisches Drachenfest und die Chinesen haben drei Tage bezahlten Urlaub. Bei 1.3 Milliarden Einwohnern können wir uns auf ein wahres Gedränge einstellen. Per Bus und einer Schweizer Seilbahn erreichen wir fast den Gipfel. Natürlich darf bei einem Pilgerweg auch ein bisschen Treppensteigen nicht fehlen. Eigentlich hätten wir den Gipfel ganz zu Fuss in zwei bis drei Tagen erwandern können. Doch wir reihen uns Radiowandermässig in die chinesische Schlange ein, mit Wanderstöcken bewaffnet zum Schutz vor den angriffslustigen Affen. Oben lichtet sich tatsächlich kurz der Nebel und wir erhaschen einen schönen Blick auf die goldene Buddhafigur und die vergoldeten Pagoden- Tempel. Ausser Gläubigen kommen hier auch viele Touristen wegen der schönen Aussicht hin. Doch diese sehen wir nicht mehr, da starker Nebel aufkommt. So heisst es wieder anstehen in langen Kolonnen, um zur Seilbahn zu kommen. Auch unten im Tal bei unseren Womos ist viel Trubel, so flüchten wir uns aufs Dach und kommen uns vor wie im Zoo bei den Pandabären. Klick, klick, smile, wink, klick!
Von der anschliessenden schönen Fahrt durch die grünen Berge von Yunnang sehen wir leider nicht viel, da die Berge von Nebelschwaden und Regenschauern verhangen sind. Die Autobahnen hier sind brandneu und sehr aufwändig gebaut mit vielen Tunnels, Brückenpfeilern und sogar Tunnelloopings im Berg.
Bei Xichang stehen wir auf einem brandneuen RV Park. Die Strasse hinzu ist noch auf keinem Navigationssystem verzeichnet. Wir haben Zeit die Reifen zu wechseln und Brot zu backen. Die Weltraumstation Kosmodrom dürfen wir als Ausländer nicht besuchen.
Durch unzählige Gemüsekulturen und Reisfelder fahren wir nach Panzihua, wo wir hoch oben in den Bergen auf einem der neuen Campingplätze Chinas stehen. Wir geniessen die Stille und die angenehmen Temperaturen, denken ein Bier wäre jetzt ganz angenehm….da steht doch ganz urplötzlich ein kleiner Junge mit zwei Bierflaschen vor uns. Beer? fragt er in gepflegtem Englisch. Ehm, ja gerne. Er reicht uns nicht irgendein Bier, nein ein chinesisches Stout, Beats Lieblingsbier. Schnell ist der Goggle Translater eingeschaltet und mit dem 9 -jährigem Jungen ein Gespräch angefangen. Später gesellt sich noch der Vater dazu. Auf die Frage, weshalb wir zu der Ehre kommen, meint er, er habe uns so dasitzen sehen und gedacht, wir könnten ein Bier vertragen. Am nächsten Morgen will er uns nochmals zwei Kisten bringen. Sachen gibt es in China!
Heute ist ein Provinzwechsel angesagt. Wir fahren von Sichuan in die Provinz Yunnan. Über diese Provinz habe ich im Voraus gelesen, dass die Berge hoch und der Kaiser weit sei. Hier sollen auch ganz viele Minderheiten zu Hause sein. Mal schauen! Die Autobahn nach Lijang ist jedenfalls noch nicht fertig. Aber sie ist schwer im Bau: Auf fast der gesamten Fahrt begleiten uns neue Brücken, Strassenpfeiler und Tunnels. Sie sollen bereits nächstes Jahr ein bequemes Reisen durch all die hohen Berge und Schluchten bringen. Wir müssen uns aber noch durch die engen Strassendörfer und etwa vier Bergpässe mit dem ganzen Schwerverkehr quälen. Entlang vieler kleiner Bergdörfer und Pässe nach Lijang werden überall Mangos, Papayas, Tabak und Bananen angebaut und direkt an der Strasse verkauft. Die 280 Kilometer nach Lijang haben es in sich. Ziemlich erschöpft kommen wir spätabends auf dem relativ neu erstellten Campingplatz an.
Lijang ist auf 2600 Metern gelegen und trumpft mit den schneebedeckten Jadedrachenbergen auf. Die Stadt selber liegt auf einem flachen bewaldeten Hochplateau und erinnert uns an den Norden der USA. Wir besuchen die schöne Altstadt von Lijang mit den engverwinkelten Gässchen. Viele Shops, Essstände und Musikschuppen buhlen um die Gunst der Touristen.
Am Nachmittag besuchen wir noch ein typisches Naxidorf. Die Naxi sind eine der 56 in China ansässigen Minderheiten. Natürlich ist das Dorf touristisch voll vermarktet, verlockt uns aber trotzdem zum Bummeln. Überall werden schöne Batiktücher und andere Souvenirs verkauft. Bei der Restaurantwahl haben wir kein glückliches Händchen, die Auswahl der schönen Speisekarte beschränkt sich auf Bier und sogenanntes „Naxibrot“, zwei trockene Scheiben Toastbrot. Beim bezahlen wollte uns der geschäftstüchtige ältere Herr auch noch übers Ohr hauen.
Am Abend auf dem Campingplatz kamen wir in den Genuss einer besonderen Show. Wir wurden vom Campingplatzbesitzer als seine ersten Langnasencampinggäste zu einer atemberaubenden Circus- Musicalshow mit raffinierter Technik eingeladen.
Die Fahrt von Lijang nach Dali führt alles über die neu erstellte Autobahn. Dali ist am einem riesigen Süsswassersee, dem Erhaisee gelegen und eine der touristischen Regionen Chinas. Vergleichbar mit Mallorca für die Deutschen, lockt Dali mit einem ganzjährigen milden Klima, den Tafelbergen und dem See.
Hier sollen auch viele westliche Backpacker hängen geblieben sein und die Speisekarte beeinflusst haben. Wir jedenfalls waren überrascht, in einem Restaurant, das uns stark an die Provence erinnert westliche Menues zu kriegen.
Wieder einmal nach langer Zeit nehmen wir unsere Bicis und machen eine Fahrt an den See. Im Städtchen ist die Bauwut ausgebrochen. Die Häuserfronten werden aufgerissen und in superchicke Boutiquehotels oder Gästhäuser umgewandelt. Viele sogenannte Fotoshootingparks laden ein, sich vor schönen Lavendelfeldern, unter Rosenbögen, VW – Bussen oder Dinosauriern ablichten zu können. Offenbar wird für sowas viel Geld ausgegeben, sich in einem guten Licht darzustellen, dass muss in der heutigen Zeit einfach sein!
Am nächsten Morgen unternehmen wir eine Schiffahrt auf dem Erhaisee. Viel zu sehen gibt es allerdings nicht. Besser hätten wir wohl unser Kanu rausgeholt.
Von der vermeintlich supertollen Altstadt sind wir eher enttäuscht. Die Stadt hat keinen Charm mehr, die Läden sind superchick und gestylt und natürlich auf den chinesischen Massen -Tourismus eingestellt. Unsere E-Biketour vom Vortag war viel interessanter! In der Nacht erreicht uns noch ein heftiges Gewitter. Auch am Morgen auf der Fahrt nach Kunming ist es immer noch regnerisch.
Kunming erreichen wir über zahlreiche Hügel ebenfalls bequem per Autobahn. Kunming ist auf knapp 2000 Metern über Meer gelegen und wartet mit guter Luft und einer hohen Lebensqualität auf. Da Kunming ja die Partnerstadt von Zürich ist, erwarten wir eigentlich einen ausgelegten roten Teppich. Doch da ist nichts dergleichen: Wir übernachten im Hinterhof eines sogenannten Kurhotels auf dem Expo- Gelände und müssen sogar ein Zimmer buchen, welches wir jedoch nicht belegen. Dafür dürfen wir die Bäderanlage benutzen und in chinesischen rosaroten Pyjamas das riesige Buffet plündern.
Am nächsten Tag besuchen wir mit tausenden von chinesischen Besuchern den berühmten Steinwald von Shilin, ein UNESCO Welterbe. Von Natur ist hier leider nicht mehr viel zu spüren. Jede Steingruppe ist fototechnisch gut beleuchtet und mit Wegen gut erschlossen. Rasen betreten dringend verboten. Die hier ansässige Volksgruppe der Yi führt die Besucher durch die Anlage oder setzt sich in der Tracht fotogen in Szene. Da unsere Klimaanlage immer noch nicht geht, suchen wir mit Hilfe unseres chinesischen Guides Wang eine Busreparaturwerkstatt mitten im Zentrum von Kunming auf. Durch den am Vorabend extra bestellten Klimatechniker ist der Schaden schnell gefunden. Wegen eines defekten Schlauchs für das Kältemittel, das vom Ventilator durchgescheuert wurde, also ein eindeutiger Konstruktionsfehler von MAN, ging seit einigen Tagen die Klimaanlage in der Fahrerhauskabine nicht mehr. Mit Blick auf die tropischen Regionen Laos, Kambodschas und Thailands nicht gerade ein beruhigender Zustand. Doch nach zwei Stunden ist ein neuer Schlauch gefertigt und wir können Kunming wieder verlassen.
Das Klima wird immer tropischer, die Pflanzen ebenfalls. Unser nächster Stellplatz in Honghe auf etwa 100 Metern ist mitten in den Bananen- und Mangoplantagen gelegen. Wunderbar auf einer Bergkuppe auf etwa 1000 Metern. Wir werden vom Chef eines chinesischen Campingclubs empfangen. Der Plantagenbesitzer macht mit uns eine Führung durch seine Mango- Orangen- Passionsfrucht und Bananenplantage und erklärt uns die Pflanzen. Wir können sogar selber pflücken und werden dabei vermarktungstechnisch von etlichen Kameras gefilmt. Langnasen beim Campen in China! Später wird daraus sogar ein Bericht im lokalen TV daraus. Auch etliche Tiere wie Schweine, Hühner, Fasane, Ziegen und Enten bevölkern die große Anlage. 50 Angestellte arbeiten auf der Farm. Auf dem schönen Anwesen wird in Yurten auch Essen serviert. Für Zelte sind in der Nähe beim Teich Plattformen erstellt. Am Abend gibt es ein Fest für die Dorfbevölkerung. Um ein riesiges Feuer herum wird im Kreis getanzt. Natürlich kann ich mir dies nicht entgehen lassen. Der Vollmond scheint und der Schweiß fließt. Feuer sei Dank!
Den nächsten Stellplatz können wir von der Mangoplantage aus hoch oben in den Bergen bereits sehen, doch die Anfahrt hinzu hat es in sich! Wir müssen 1300 Höhenmeter auf einer schmalen und sehr kurvigen Strasse durch Dschungel und Reisterrassen bewältigen. Die Reisterrassen von Yangjie sind weltberühmt und gehören zum UNESCO Weltkulturerbe.
Wir befinden uns im Grenzgebiet China- Vietnam- Laos- Myanmar mit einer Vielzahl von Ethnien. Einige Straßen sind nicht mehr auf dem Navi und wir fahren immer noch höher hinauf in den Dschungel. Die Überraschung ist riesig, als wir um die letzte Kurve biegen. Welch ein Treiben! Hier sind hunderte von Leuten, die auf etwas warten. Was ist hier im Gange? Ein Fest? Die ganze Bevölkerung in ihren schönen Trachten scheint hier versammelt und wartet, aber worauf?
Alle warten auf uns Langnasen in ihren Womos, die hierher nach China gefahren sind: Die Kinder haben extra schulfrei bekommen und die Erwachsenen ebenfalls. Sie scheinen bereits den ganzen Tag auf den Start zu warten. Sie feiern mit uns ihr Erntedankfest, das normalerweise ein bisschen später im Jahr und in den Reisfeldern stattfindet. Wir kommen in den Genuss des berühmten Fächertanzes und einer ganzen Show drumherum. Am Abend wird noch um ein großes Feuer herum getanzt, so lange bis wir die Musik des Fächertanzes nicht mehr aus den Ohren kriegen. Hier oben auf über 2000 Metern ist es bedeutend kühler. Sogar die Daunenweste kommt wieder zum Zug.
Für die Weiterfahrt geht es leider die ganze Kurventrasse wieder runter ins Tal. Und zu unserem Entzücken findet an der engsten Spitzkehre gerade eine Art Warenmarkt statt und niemand scheint interessiert zu sein, einen Schritt zur Seite zu machen.
Hühner werden gehandelt und Körbe hin- und hergeschoben. Doch für uns Platz zu machen scheint kein Thema zu sein.
Aber Beat ist ja mittlerweile ein erfahrener Driver in solch engen Situationen. Geübt bei Hans und Nancy in Marokko wird am Berg hin-und zurück gekurbelt, auf Zentimetergenau gefahrenund kein Kratzer hinterlassen. Perfekt! Geklatscht bei dieser Meisterleistung hat seltsamerweise keiner.
Heute überqueren wir den nördlichen Wendekreis und das Klima und die Pflanzen werden richtig tropisch. Wir fahren immer weiter hinein in den Dschungel auf einer brandneuen und praktisch leeren Dschungelautobahn. Unsere letzten beiden Übernachtungsplätze bei Jinghong und Mengla in China sind nochmals wunderbare RV- Parks voll ausgrüstet mit Wasser und Strom. So verwöhnt wird es aber nicht weiter gehen in Laos, da müssen wir uns mit Sicherheit umgewöhnen müssen. Wir fahren noch kurz an den Mekong. Er ist bereits hier schon sehr breit, eine neue sehr hohe Brücke wird gebaut. Doch bis diese befahrbar sein wird, wird der ganze Verkehr über Fähren abgewickelt. Der Mekong hat hier schon richtig Zug und und die Fähren haben eine spezielle Anlegetechnik entwickelt.
Am 19. Juni 2019 ist nach 5 Wochen Chinareise bereits unser letzter Abend in China angebrochen. Wir stehen auf einem noch nicht eröffneten RV- Park und verabschieden uns von unserem chinesischen Guide. In der Nähe, mitten im Dschungel besuchen wir noch eine buddhistische Tempelanlage der hiesigen Minderheit der Dai.
Der buddhistische Tempel der Dai
China haben wir als sehr spannendes Land erlebt. Kulturell und landschaftlich sehr vielseitig, mit herzlichen und uns Langnasen sehr aufgeschlossenen Leuten. Obwohl technisch und strukturell bereits auf sehr hohem Niveau, wird an jeder Ecke gebaut und viele neue Strassen, Staudämme und ganze Wohnsiedlungen aus dem Boden gestampft.
Leben möchte ich trotzdem nicht in diesem Land: Die ganze Überwachung, sei es per Internet oder per omnipräsenten Kameras ist mit zuwider. Ebenso widerstrebt mir der Umgang mit Umwelt- und Menschenrechten.
China verändert sich unglaublich schnell und ist somit für Reisende zur Zeit unglaublich spannend. Und wir sind dankbar, dieses Land bereist zu haben.